An die anderen weißen Eltern auf dem Spielplatz
„Woher hat er seine schönen Augen?“, „Woher hat er seinen schönen Teint?“, „Wächst Dein Kind zweisprachig auf?“ Sehr kreativ was sich Leute alles einfallen lassen statt der Frage „Wo kommst Du (wirklich) her?“, die ja bei einem Baby auch wenig Sinn machen würde.
Dass die Frage „Woher kommst Du?“, wenn sie einem Erwachsenen gestellt wird, kein netter Small Talk Einstieg ist, dürfte sich langsam auch unter weißen Deutschen (das sind die denen die Frage selbst nicht so oft gestellt wird) rumgesprochen haben. Selbst wenn sie nett gemeint sein sollte signalisiert sie dem Gegenüber „Es ist für mich nicht selbstverständlich, dass Du hier bist.“ Der Rassismusforscher Mark Terkessidis nennt das „Verweisung an einen anderen Ort“ oder „symbolische Ausbürgerung“, in der postkolonialen Theorie Gayatri Spivaks heißt es Othering, d.h. jemanden zum Anderen machen um das Eigene als Norm zu setzen oder zu bestätigen. Und da gelten auch nicht Ausreden wie „ich kenne aber eine Migrantin die stört das gar nicht“ oder „unter Freunden reden wir doch auch darüber“. Natürlich können Sie unter Erwachsenen einvernehmlich beschließen sich über ihre jeweiligen Lebens- und Familiengeschichten auszutauschen (dann müssen Sie aber auch die Frage beantworten, was ihre Großeltern damals gemacht haben, Sie wissen schon,..).
Nun wissen das inzwischen die meisten Leute in meinem Umkreis. Dennoch können manche ihre Neugier nicht zügeln und versuchen dann auf Umwegen etwas über unsere Familiengeschichte rauszufinden. Wenn ich dann ausweichend antworte, geben sie sich aber selten zufrieden sondern bohren oft noch direkter nach. Wenn ich dann erkläre dass ich die Fragen übergriffig finde und warum, nehmen sie dies manchmal sogar zustimmend zur Kenntnis, erwarten dann aber dass ich es ihnen trotzdem sage (ich vermute mal als Entschädigung dafür dass ich sie gerade kritisiert habe). In meiner Gegenwart werden Gespräche über mein Kind geführt die wohl die meisten (leider noch nicht alle) Menschen wenn sie über oder mit Erwachsenen geführt würden als verletzend empfänden.
Hier treffen sich Rassismus und Adultismus, also die Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen durch Erwachsene. Schon im jüngsten Alter bekommen Menschen die volle Breitseite von Diskriminierung ab, damit sie als Erwachsene garantiert genug Mist in ihrem Kopf und Verletzungen in ihrem Herzen haben um noch Generationen von Antidiskriminierungs- und Empowermenttrainer*innen zu beschäftigen. Das gilt für privilegierte Kinder, die immer noch auf Kosten anderer ihr Selbstbewusstsein stärken sollen (ja, auch ich fühlte mich durch Pippi Langstrumpf als Mädchen empowert, aber dass ihr versoffener Vater auf einer Südseeinsel König sein soll kam mir damals schon komisch vor). Das gilt auch für potentiell diskriminierte Kinder, z.B. Mädchen denen erstmal stereotype Rollen angeboten werden die sie zehn Jahre später beim Girls‘ Day oder Zukunftstag bitte wieder verlassen sollen und für Schwarze Kinder/Kinder of Color, bei denen einige weiße Menschen anscheinend davon ausgehen, dass ihre übergriffigen Bemerkungen noch nicht verletzen, ohne zu merken, dass sie damit dem Kind genau die Erfahrungen bereiten vor deren Hintergrund solche Bemerkungen verletzen müssen.
Was mich als Mutter auch verletzt: Dass manche Menschen anscheinend denken ich hätte weniger Empathie für mein Kind. Weil ich weiß bin und mein Kind nicht? „Ich hätte gar nicht gedacht, dass er einen Sonnenhut braucht!“ sagte eine andere weiße Mutter zu mir. Merkt sie nicht wie verletzend das für mich ist und wieviel Angst mir das vor der Zukunft macht, wenn Menschen die mit meinem Kind zu tun haben sowas vielleicht nicht mehr sagen aber danach handeln werden? Und ich will gar nicht leugnen, dass es für weiße Mütter Schwarzer Kinder oder von Kinder of Color tatsächlich zusätzliche Anstrengung braucht um Einfühlungsvermögen für ihre Kinder zu entwickeln wenn diese Erfahrungen machen die sie selbst gar nicht machen können. Weil ihnen ihre eigenen Privilegien vorher oft selbstverständlich vorkamen, weil es schmerzhaft ist, dass dein Kind eine verletzende Erfahrung macht vor der Du es oft nicht schützen kannst, weil die Trennlinie zwischen Deinem Kind und Dir die durch ein gesellschaftliches Machtverhältnis gezogen wird an sich schon schmerzt. Dafür gibt es zum Glück inzwischen einiges an Literatur und Workshops. Auch Leute die selbst nicht in der Situation sind könnten sich ein bisschen darüber informieren.
Zum Weiterlesen und Lernen:
Noah Sows Klassiker „Deutschland Schwarz Weiß” vermittelt Grundwissen über Rassismus einschließlich einer Liste übergriffiger Fragen
Nkechi Madubukos Ratgeber „Empowerment als Erziehungsaufgabe” gibt Eltern Tipps wie sie ihre Kinder bei Rassismuserfahrungen schützen und unterstützen
ManuEla Ritz‘ Adultismus-Workshops regen Erwachsene an ihre Machtausübung gegenüber Kindern zu reflektieren und Adultismus als Diskriminierungsform zu erkennen