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Reflexion und Provokation

Privilegienreflexion für Verheiratete und Paare

„Was, Du bist ver­heiratet?“ fragt mich mit ungläu­bigem Ton­fall und beina­he stre­itlustiger Hal­tung die mut­maßlich wie ich linke und fem­i­nis­tis­che Kol­le­gin, die ich bei ein­er Fort­bil­dung ken­nen­gel­ernt habe.

„Ja“ antworte ich mit trotzigem Ton­fall und fast schlechtem Gewis­sen. Ich bin aus guten Grün­den ver­heiratet und bin sehr glück­lich ver­heiratet zu sein, für mich, meinen Mann und meine Fam­i­lie war es eine gute und stim­mige Entschei­dung und es gibt mir auch heute noch ein Gefühl von Sicher­heit, Gebor­gen­heit und Zusam­menge­hörigkeit, dass wir diesen Weg gegan­gen sind.

Trotz­dem ertappe ich mich manch­mal dabei mich dafür zu recht­fer­ti­gen. Nicht nur vor meinen Bekan­nten, unter denen ich mit meinem Fam­i­lien­stand ziem­lich alleine bin, son­dern auch vor mir selb­st. Denn die Priv­i­legien die ich damit bekomme, sind enorm und frag­würdig. Viele davon würde ich allen Men­schen wün­schen: z.B. dass ihre Lebens- und Beziehungsentschei­dun­gen selb­stver­ständlich respek­tiert wer­den, dass sie geliebte Men­schen auf der Inten­sivs­ta­tion des Kranken­haus­es besuchen dür­fen, dass ihnen jemand die Kranken­ver­sicherung zahlt wenn sie als Selb­ständi­ge wenig ver­di­enen. Andere würde ich liebend gerne abgeben oder ganz abschaf­fen wie den automa­tis­chen Ver­trauensvorschuss den man als ver­heiratete Per­son oft bekommt. Ich bin auch nicht der Ansicht dass die Diskri­m­inierung ander­er Lebens­for­men zum vom Grundge­setz garantierten Schutz der von mir gewählten Lebens­form „Ehe und Fam­i­lie“ beiträgt. Richtig ätzend finde ich die Ten­denz, Verpflich­tun­gen, die ursprünglich nur mit dem Ver­heiratet­sein ein­hergin­gen, in den let­zten Jahrzehn­ten schrit­tweise auf andere Lebens­for­men aus­gedehnt wur­den, wodurch Men­schen in ihrer Frei­heit eingeschränkt und in ein eheähn­lichen Rah­men gezwun­gen wer­den ohne dies zu wollen und auch ohne wiederum die entsprechen­den Priv­i­legien zu genießen. Beispiele sind die Bedarf­s­ge­mein­schaften beim ALG II oder die wiederkehren­den Debat­ten um ein gemein­sames Sorg­erecht von Mut­ter und Vater für ein Kind am Geburt und im Fall ein­er Tren­nung ein Wech­selmod­ell als Stan­dard­lö­sung. Gute Argu­mente dage­gen bün­deln z.B. die MIAs.

Wir müssen also über Ver­heirateten-Priv­i­legien reden. Priv­i­legien ver­ste­he ich als unver­di­ente Vorteile, mit denen in der Regel die Benachteili­gung, genauer gesagt Diskri­m­inierung, ander­er ein­herge­ht. Ver­heiratete haben Priv­i­legien gegenüber Sin­gles, aber auch gegenüber unver­heirateten Paaren oder nicht ver­heirateten polyamourös leben­den Men­schen. Het­ero­sex­uelle ver­heiratete Men­schen und Paare prof­i­tieren davon weit mehr als homo­sex­uelle. Ein Teil der Ver­heirateten-Priv­i­legien gilt in abgeschwächter Form auch für „offizielle“, langjährige Paare, aber viele, ins­beson­dere die rechtlichen und ökonomis­chen Priv­i­legien sind tat­säch­lich an die vom Staat bescheinigte Ehe geknüpft.

Meine Priv­i­legien als Ver­heiratete het­ero­sex­uelle Cis-Frau

  • Ich muss nicht alleine auf ang­ste­in­flößend steife Par­tys wie z.B. Hochzeit­en oder runde Geburt­stage gehen, denn kann erwarten, dass bei Ein­ladun­gen ins­beson­dere zu förm­lichen Anlässen mein Ehep­art­ner mit ein­ge­laden wird.
  • Als zu zweit erziehende Mut­ter ist mein Vor­name nicht Über­forderte®, auch wenn ich es tat­säch­lich oft bin. Andere denken dass ich mein Leben im Griff habe.
  • Nie­mand will mich verkup­peln oder fragt mich ob ich noch mit meinem Part­ner zusam­men bin, weil alle davon aus­ge­hen dass das so ist.
  • Wenn ich meinen Job ver­liere oder als Selb­ständi­ge mal sehr wenig ver­di­ene, kann ich mich bei meinem Part­ner kosten­los mitver­sich­ern lassen (dass da auch eine Falle lauert, ist klar).
  • Wenn ich kün­stliche Befruch­tung haben will bekomme ich Geld vom Staat dazu, als Ehep­aar noch mehr als als „nichte­he­liche Lebens­ge­mein­schaft“.
  • Wenn ich schwanger bin, denkt nie­mand dass ich zu dumm zum Ver­hüten war, son­dern dass ich mir bewusst einen völ­lig legit­i­men Herzenswun­sch erfüllt habe.
  • Bei Behör­den mache ich anscheinend einen viel ser­iöseren Ein­druck als vorher und werde viel bess­er behan­delt.
  • Wenn ein­er von uns mal so richtig Mist baut und dabei erwis­cht wird, hat der andere ein Aus­sagev­er­weigerungsrecht. Hier kann man natür­lich auch so tun als sei man ver­lobt, aber ich kann so schlecht lügen.
  • Wenn ein­er von uns auf der Inten­sivs­ta­tion im Kranken­haus liegt darf der*die andere ihn*sie besuchen. Auch dies gilt auch für Ver­lobte.
  • Ich bekomme weniger Ratschläge darüber was ich mit meinem Leben anfan­gen soll.
  • Sollte ich was zu vererben haben, bekom­men es mein Part­ner und meine/​unsere Kinder , ohne dass wir dazu erst extra Verträge auf­set­zen müssen oder so.
  • Ein­mal im Leben kann ich mir von allen meinen Freund*innen und Ver­wandten teure Geschenke wie Bargeld oder Haushalts­geräte) wün­schen und alle wer­den mir was geben.
  • Mein Part­ner und ich kön­nen gemein­sam und gle­ichzeit­ig ein Kind adop­tieren.
  • Ich kann die Ver­wandten meines Part­ners ken­nen­ler­nen und sie wer­den mich wahrschein­lich akzep­tieren oder wenig­stens so tun und meine Ver­wandten ihn auch.
  • Wenn eine*r von uns ein dauer­haftes Aufen­thalt­srecht oder eine deutsche oder EU-Staat­sange­hörigkeit hat, kann der*die andere (wenn auch in der Prax­is nicht ohne viele Hür­den) auch ein Aufen­thalt­srecht bekom­men und mit seine*r Partner*in hier zusam­men­leben (wenn nicht ger­ade Coro­na ist).

Was hast oder hättest Du davon gerne? Worauf würdest Du verzicht­en?

Die Idee die Priv­i­legien Ver­heirateter aufzulis­ten habe ich von der Sin­gel-Forscherin Bel­la de Paulo. Priv­i­legien­lis­ten sind vor allem bekan­nt gewor­den durch Peg­gy McIn­toshs Liste weißer Priv­i­legien. Priv­i­legien zu benen­nen kommt aus der Tra­di­tion der Wis­senspro­duk­tion und emanzi­pa­torischen Prax­is von Befreiungs­be­we­gun­gen unter­drück­ter Grup­pen die den Blick auf die Unterdrücker*innen und Profiteur*innen unter­drück­erisch­er Struk­turen richteten, z.B. aus der kri­tis­chen Weiß­seins­forschung.

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