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„Es gibt mir ein Gefühl von Weite“

Interview mit Lorena Mercado

Inter­view von Con­stanze Schwärz­er-Dut­ta (Diver­si­Fam­i­lies) am 4. Juni 2019

Ich bin hier mit Lore­na Mer­ca­do, ein­er Fre­undin und geschätzten Kol­le­gin. Sie ist die erste Per­son die ich um Rat frage wenn ich Prob­leme mit meinem Erziehungs- und Beziehungsstil habe und damit was die Gesellschaft von mir fordert. Lore­na ist Psy­cholo­gin und Mut­ter und arbeit­et bera­tend für Eltern, Erzieher*innen und weit­ere Mitarbeiter*innen eines bilin­gualen Kita-Trägers. Sie ist eine der größten Exper­tin­nen für mein The­ma und ich bin sehr stolz und froh dass sie meine erste Inter­view­part­ner­in ist.

Lore­na, wer bist Du und was möcht­est Du dass die Leser*innen des Blogs über Dich wis­sen?

Also gut, meinen vollen Namen, May­da Lore­na Mer­ca­do Mejo­ra­da, dass ich aus Peru komme und schon seit fün­fzehn Jahren in Deutsch­land bin, dass ich zwei Kinder habe, von denen eines dreizehn und eines neun, fast zehn Jahre alt ist. Ich bin Psy­cholo­gin, arbeite in bilin­gualen Kitas und begleite Prozesse an ver­schiede­nen Orten, auf ver­schiedene Weisen, in ver­schiede­nen Grup­pen. Ich habe meine Fam­i­lie, mein Mann kommt auch aus Peru, zuhause sprechen wir nur Spanisch, und wir haben auch andere Leute aus unser­er Fam­i­lie hier. Wir leben ein beständi­ges und sehr vielfältiges Fam­i­lien­leben in unser­er großen Fam­i­lie.

Was ist das Beson­dere an Dein­er Fam­i­lie, was gefällt Dir am meis­ten an Dein­er Fam­i­lie?

Wenn wir das Wort Fam­i­lie benutzen tauchen für mich nicht nur mein Ehep­art­ner und meine Kinder auf, son­dern alle weit­eren Per­so­n­en die hier mit uns sind, das sind die Geschwis­ter meines Mannes und deren Kinder und Partner*innen.

Es ist ein großes Gefüge und wenn ich an diesen Zusam­men­hang denke in dem jede*r einzelne seine*ihre Lebensweise hat, seine*ihre Denkweise, auf seine*ihre Art an etwas glaubt, gibt es mir ein Gefühl von Freude dass wir alle zusam­men sind und unser Zusam­men­sein genießen obwohl wir so unter­schiedlich sind.

Ein­er redet langsamer, ein ander­er schneller, es gibt ein wichtiges The­ma und plöt­zlich tauch daneben ein anderes The­ma auf uns wir sprin­gen vom einen zum anderen. Da gibt es viel Leichtigkeit, wir lachen viel bei diesen Tre­f­fen. Ich füh­le dass wir es in diesen Momenten alle genießen, zusam­men zu sein. Natür­lich essen wir, das ist sehr wichtig, und wir haben Spaß, ich denke das ist das Wichtig­ste, wir freuen uns zusam­men zu sein.

Jet­zt suchen wir diese Momente auch ganz bewusst damit unsere Kinder diese Gele­gen­heit auch haben, nicht nur bei ihrer Mama und ihrem Papa zu sein, son­dern dass es auch diesen Onkel und jenen Onkel gibt, den einen oder anderen Cousin, ver­schiedene Gen­er­a­tio­nen, dass sich da irgend­wie alles mis­cht.

Ist dann Deine Fam­i­lie so wie Du sie beschreib­st, so wie Du sie kennst, für Dich auch eine Art den Umgang mit Vielfalt zu ler­nen und sie zu genießen?

Ja, und die Vielfalt auch auszuhal­ten, denn zu unseren Unter­schieden gehört aus dass wir nicht immer der­sel­ben Ansicht sind oder dass wir unter­schiedliche Bedürfnisse haben.

Ich denke dass wir auch ler­nen tol­er­an­ter zu sein durch diese Erfahrung dass wir ständig zusam­men sind. Das heißt nicht dass es ein­fach so wie Zauberei funk­tion­iert, aber es ist eine Art zu üben, eine beständi­ge Art zu üben.

Wir haben auch alle zu unter­schiedlichen Zeit­en in irgen­dein­er Form zusam­men­gelebt, das heißt wir waren uns auch physisch sehr nahe. Zuerst haben wir bei meinem Schwa­ger gewohnt, dann kam ein ander­er Brud­er, dann zogen wir mit einem anderen zusam­men und jet­zt lebe ich mit meinen zwei Kindern und ihrem Papa zusam­men. Wir sind uns also nicht nur emo­tion­al son­dern auch räum­lich nahe und wir reden hier von kleinen Räu­men. All das ist eine kon­stante Prax­is und unsere Kinder leben diese auch.

Der Kita-Träger für den Du arbeitest ist auch ein Fam­i­lien­be­trieb.

Ja, es ist eine andere Form der Beziehung denn wir sind zugle­ich Fam­i­lien­ange­hörige und Kolleg*innen. Es gibt also viele par­al­lele Beziehun­gen die wir gle­ichzeit­ig pfle­gen und das ist eine Kun­st die wir bei jede*m einzel­nen sehr wertschätzen.

Welche Rollen nimmst Du in Dein­er Fam­i­lie ein?

Ich organ­isiere gerne. In vie­len Bere­ichen schaue ich was wir machen kön­nen und wie. Ich berate mich mit meinem Ehep­art­ner und wir entschei­den gemein­sam. Aber ich füh­le dass das ein biss­chen meine Rolle ist und sie gefällt mir.

Es gibt auch Rollen die sich ändern. Zum Beispiel gibt es Momente im Zusam­men­sein mit unseren Kindern in denen ich die Har­monie suche und mein Mann die andere Rolle ein­nimmt und nein sagt, aber ein anderes Mal ist es umgekehrt und ich bin die die mehr Gren­zen set­zt und er sucht mehr nach Har­monie.

In der Groß­fam­i­lie organ­isiere ich auch gerne dass wir uns tre­f­fen und etwas zusam­men unternehmen. Ich bin die, die organ­isiert. „Machen wir hier ein Mit­tagessen und laden alle ein!“ Oder wir gehen grillen oder, ich weiß nicht, die Möglichkeit­en sind unbe­gren­zt, aber ich sorge dafür dass wir zusam­menkom­men.

 Ich plane und organ­isiere weil es mir gefällt und ich es sehr genieße wenn wir zusam­men sind und ich weiß dass alle anderen sich dann auch freuen. Das ist auch meine Rolle in der Groß­fam­i­lie und das wurde mir auch schon öfters gesagt.

Du hast auch Deine Diplo­mar­beit in Psy­cholo­gie über die Erfahrun­gen lateinamerikanis­ch­er Frauen in Berlin mit Mut­ter­schaft geschrieben.

Ja, sie heißt “Die Erziehungsstile lateinamerikanis­ch­er Frauen in Berlin“, aber es geht auch um deutsche Müt­ter. Ich habe die Erziehungsstile ver­glichen.

Wie hat diese Erfahrung Deine Vorstel­lun­gen der The­men Aufwach­sen und Erziehung, Mut­ter­schaft und Fam­i­lie bee­in­flusst?

Für mich fing alles an mit dem Wun­sch zu wis­sen, zu wis­sen wie es auch nach der Migra­tion ist. Ich inter­viewte Frauen die schon eine Weile hier waren und ich wollte wis­sen, was sich für sie als sie selb­st Kinder beka­men verän­derte in der Form wie diese aufwuch­sen und wie sie mit ihren Kindern han­del­ten. Ich wollte auch wis­sen wie die deutschen Frauen ihre Kinder großziehen. Es gibt viele The­o­rien, in den meis­ten davon gibt es einen starken Fokus auf die Unter­schiede zwis­chen den Erziehungsstilen in Europa und in Lateinameri­ka, wegen der Kul­tur und ich weiß nicht was.

Aber tief drin­nen fühlte ich dass es in Wirk­lichkeit nicht so viele Unter­schiede gibt und das war das Exper­i­ment das ich mit mein­er Abschlus­sar­beit machte. Es war eine qual­i­ta­tive Studie, ich machte Inter­views, es waren nicht viele Per­so­n­en, aber am Ende kon­nte ich für mich her­ausziehen dass es auf der ober­fläch­lichen Ebene vielle­icht Unter­schiede gibt aber dass im Grunde viele Gefüh­le der Müt­ter wieder­holt vorka­men, oder dass sich auch Ver­hal­tensweisen um bes­timmte Ergeb­nisse zu erzie­len ähnel­ten. Für mich war es so als ob die Basis sehr ähn­lich sei und von da aus habe ich mehr die Dinge die uns verbinden ins Zen­trum gerückt.

Meine let­zte Frage: Was brauchte Deine Fam­i­lie oder was braucht­est Du von Dein­er Umge­bung oder von der Gesellschaft damit es Dein­er Fam­i­lie noch bess­er gehen kön­nte? Was sind Deine Wün­sche damit Du vielle­icht Deine Art von Fam­i­lien­leben wie Du sie beschrieben hast noch leichter leben kön­ntest?

Jet­zt wo Du mir diese Frage stellst denke ich an ein Beispiel wenn wir alle zusam­men sind und wirk­lich lachen. Es ist uns schon passiert wenn wir irgend­wo hinge­gan­gen sind dass wir ziem­lich laut waren.  Dann habe ich oft das Gefühl gehabt dass die Leute diese Art nicht ken­nen oder vielle­icht nicht mögen und dass sie es ver­wun­der­lich find­en. Wenn wir zum Beispiel mit der ganzen Fam­i­lie hier in Deutsch­land irgend­wo hinge­gan­gen sind und alle sich umge­dreht haben so als wäre das selt­sam, vielle­icht die Inten­sität dass so viele Men­schen gle­ichzeit­ig so miteinan­der im Fluss sind.

Mein Wun­sch wäre dass so etwas eher zur Nor­mal­ität gehört, dass es kein Befrem­den aus­löst. Dass wir nicht als die Komis­chen gese­hen wer­den weil wir so etwas machen. Es wäre schön solche Dinge öfter zu sehen. Dass sich nicht alle umdrehen um Dich anzuguck­en, wenn es für uns eine sehr gewohnte und schöne Sache ist. Vor allem wenn ich an meine Kinder denke, dass sie es nicht wie eine Aus­nahme erleben, dass sie es an anderen Orten auch öfters erleben kön­nten.

Gibt es noch etwas das Du gerne sagen möcht­est und wonach ich noch nicht gefragt habe?

Ich merke dass es mir gefällt von Dir für das Pro­jekt Fam­i­lien in Vielfalt (Diver­si­Fam­i­lies) inter­viewt zu wer­den, weil ich daran glaube. Mein Herz freut sich diese Diver­sität zu sehen, ihr zu begeg­nen gibt mir ein Gefühl von Weite, von Mehr, von ver­schiede­nen For­men, ver­schiede­nen Far­ben, und das mag ich.

Ich bin gerne Teil davon und sage „schau mal, es gibt die blaue Fam­i­lie, aber es gibt auch die rote Fam­i­lie und die rosarote und es existiert auch die grüne“. Das gefällt mir und ich möchte es unter­stützen. Aus mein­er Arbeit kenne ich auch eine große Vielfalt von Fam­i­lien, und ich glaube in meinem Leben in meinen ver­schiede­nen Rollen auch. Man glaubt es gäbe eine Form von Fam­i­lie, aber in Wirk­lichkeit begeg­net einem im täglichen Leben eine große Vielfältigkeit und dieser mehr Raum zu geben erscheint mir wichtig.

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