Sieben Selbstfürsorgetipps für alle* die sie brauchen und ein achter wirklich nur für Autist*innen, aus meiner Erfahrung
- Trage bequeme Kleidung. Ja, darauf bist Du selbst sicher schon gekommen. Ich meine aber richtig bequem. Weite Hosen oder Röcke, flache Schuhe mit weicher Sohle, Strümpfe ohne Bündchen und keine engen Unterhemden oder BHs. Achte auf die Stoffe. Ich habe in den letzten Jahren überwiegend fair gehandelte oder gebrauchte Klamotten gekauft. Beides fühlt sich von den Stoffen her meist recht angenehm an und ist in der Kombination auch halbwegs bezahlbar. Wenn es Dein Geldbeutel irgendwie erlaubt, investiere jetzt in Jogging-Hosen solange sie noch „in“ sind! Trau Dich auch, Schmuck, Uhr, Parfüm und Schminke wegzulassen und Dir die Haare kurz zu schneiden, falls es Dir darunter zu eng oder zu heiß sein sollte. Die Eleganz muss darunter nicht leiden. Mach‘ Deinen persönlichen Stil draus!
- Finde Freund*innen, bei denen Du Dich nicht ständig melden musst. Im Ernst, natürlich will auch ich regelmäßigen Kontakt zu meinen Freund*innen, aber ungeschriebene Regeln in Freundschaften nerven genauso wie überall sonst. Eine alte Clique, zu der Du einfach gehörst, egal wie oft Du bei den Treffen bist und deren Mitglieder sich ab und zu melden um zu fragen wie es Dir geht, gibt so viel Geborgenheit. Auch in Sportvereinen gibt es manchmal dieses Gefühl, in jedem Fall dazuzugehören. Wie erleichtert war ich auch, als eine neue Freundin mir sagte, dass sie auch nicht viel von den Regeln hält wie oft man sich melden muss! Auch nach zwei Jahren Funkstille traue ich mich sie anzurufen und wir freuen uns immer voneinander zu hören!
- Pflege Dein Körpergefühl im Alltag. Such Dir Deine Lieblingsübungen und mache sie regelmäßig. Egal ob zehn Minuten Yoga am Morgen oder abends in der dunklen Wohnung mit Kopfhörer zu lauter Musik tanzen, vieles lässt sich auch in den Alltag einfügen. Achte darauf, welche Körperteile sich besonders gut anfühlen, welche angespannt oder entspannt sind und welche gerade etwas Schonung brauchen. Die Königsdisziplin für das Entwickeln der eigenen Körperwahrnehmung sind wahrscheinlich die Kampfkünste, denn in diesen lernen wir — sofern die lehrende Person das unterstützt -, unsere Kräfte einzuschätzen und einzuteilen, unser Schmerzempfinden an der Realität zu prüfen und in der Interaktion mit Partner*/Gegner*innen Gefühle bei uns selbst und anderen zu erkennen. Interaktion lernt man natürlich auch beim Paartanz, für Autist*innen besonders attraktiv dürften jedoch auch Solotänze sein wie Flamenco, klassischer indischer Tanz oder Solo-Swing.
- Plane Vergnügung und Entspannung gezielt ein. Auch wenn manche von uns vor lauter Ablenkung viele Dinge nicht geregelt kriegen, haben wir in der Regel kein Problem mit Konzentration und Disziplin, außer zu viel davon zu haben. Mach Dir diese Tugend zu nutze und stelle Dir den Wecker für Pausen bei Arbeit oder anderen anstrengenden Tätigkeiten, trage Sex-Dates auch mit Deine*r festen Beziehungspartner*in in den Kalender ein und stelle Dir selbst kleine Belohnungen für erfüllte Aufgaben in Aussicht, und wenn es eine Tasse Tee oder ein Spaziergang ist.
- Kultiviere Deine Verbindung zur Natur. In der Natur dürfen wir so sein, wie wir sind und müssen uns nicht verstellen. Genieße die urbanen Topfpflanzen- und Birdwatching-Trends wenn Du magst, geh aber auch mal raus ins richtige Grün, gerne barfuß. Wenn Du wie ich in der Stadt lebst ist das nicht leicht aber möglich. Entdecke die wilden Ecken im nächsten Park, auf der nächsten Brache oder auf dem nächsten Friedhof. Geh‘ vormittags spazieren wenn noch wenige andere Menschen unterwegs sind, um Dich für den Tag aufzutanken. Mach‘ mittags ein Nickerchen im Gras oder auf der Parkbank. Geh‘ abends so lange, bis die Grübeleien ausgegrübelt sind und verschwinden.
- Spiele. Es ist nicht verboten als erwachsener Mensch mit Lego zu bauen, mit Knete zu spielen, Papierflieger zu falten, Kinderfilme zu gucken oder Comics zu lesen. Das einzige was man wirklich lassen sollte ist tagsüber alleine auf den Spielplatz zu gehen. Genau wie in der Natur dürfen wir beim Spielen einfach sein. Probiere aus was Dir gefällt. Vielleicht ist es auch eine schöpferische Betätigung wie Malen oder Töpfern, aber bitte ohne Leistungsdruck. Manche Menschen entspannt auch schon das Sortieren der Stifte.
- Iss. Ein auf Hochtouren arbeitendes Gehirn sollte vom Körper nicht mit zu anstrengender Verdauung, aber auch nicht mit Hunger belastet werden. Zu wenig oder zu eintönige Kost suggeriert zwar Kontrolle, aber kann auf Dauer auch Ängste schaffen oder verfestigen. Wie beruhigend und stärkend sind dagegen regelmäßige warme Mahlzeiten wie Suppen, Gemüseeintöpfe, Nudel- oder Reisgerichte! Ausgewogenes und regelmäßiges Essen macht satt und zufrieden. Allgemeine Tipps dazu was gesund sein soll, sind mit Vorsicht zu genießen. Obstallergiker*innen sollten halt nicht jeden Tag einen Apfel essen. Finde heraus was Dir guttut. Für mich ist die ayurvedische Küche hier ein guter Kompass. Deren Regeln helfen mir nebenbei, stressbedingte körperliche Erkrankungen wie chronische Entzündungen, die ich wie viele Autist*innen habe, im Zaum zu halten. Auch in der mediterranen Ernährungsweise ist viel von diesem Wissen gespeichert.
- Sei inkonsequent. Der wichtigste Rat, den mir meine Ayurveda-Beraterin gegeben hat, war: Halten Sie sich nur zu 80% an meine Empfehlungen! Die beste Selbstfürsorge-Routine kann nach hinten losgehen wenn man sich schuldig fühlt, weil man die halbe Stunde die für die morgendlichen Yoga-Übungen vorgesehen war verschlafen hat. Ehrlich gesagt glaube ich, dieser Ratschlag taugt als einziger nur für Autist*innen, denn uns kann es mehr Überwindung kosten, eine beschlossene Sache nicht durchzuziehen als sie konsequent umzusetzen. Solltest Du allerdings bereits Schwierigkeiten haben, Deine bestehende Self-Care Routine einzuhalten, oder glauben, Du bräuchtest sie gar nicht mehr, kann das ein Zeichen von bevorstehendem Burn-Out oder der diesem oft vorangehenden unerklärlichen Euphorie sein. Also: Ausnahmen sollten hier tatsächlich die Regel bestätigen und nicht zur Regel werden.
liebevoll autistisch