Achtung Satire!
Ich habe mich mal mit der Kultur neurotypischer Menschen beschäftigt, damit Ihr es nicht tun müsst, und dabei folgendes herausgefunden:
- Neurotypische Menschen sagen oft Dinge, die sie nicht so meinen oder mit denen sie etwas anderes erreichen wollen, z.B. im Streit, als Kompliment oder zur Selbstdarstellung.
- Neurotypische Menschen nehmen sich oft Dinge vor, die sie dann nicht machen und von denen sie wahrscheinlich insgeheim auch schon wissen, dass sie sie nicht machen werden (z.B. Neujahrsvorsätze, mit dem Rauchen aufhören etc.).
- Neurotypische Menschen wollen oft zu etwas dazugehören (und zwar um fast jeden Preis) und denken oft, andere wollten das auch (z.B. Gruppendruck, Nationalismus, …).
- Neurotypische Menschen reden oft über Dinge an denen weder sie selbst noch ihre Gesprächspartner*innen ernsthaft interessiert sind (sog. Small Talk).
- Neurotypische Menschen hängen sozial, emotional und sexuell oft noch dem überkommenen Zweigeschlechtersystem und entsprechenden Geschlechterstereotypen an.
- Neurotypische Menschen lassen sich oft leicht von außen motivieren und steuern. Manche sprechen sogar auf kleine Belohnungen an (sog. Erziehung).
- Neurotypische Menschen neigen manchmal dazu, sich mit optimistischen Annahmen über die Zukunft zu trösten anstatt den Tatsachen ins Auge zu sehen und zu handeln (z.B. Klimawandel).
- Neurotypische Menschen können sich blutrünstige Serien zur Unterhaltung anschauen, sich aber nachts nicht nach Berlin-Neukölln trauen.
- Neurotypische Menschen können hochempathisch sein und finden typischerweise Empathie sehr wichtig, haben aber Schwierigkeiten diese zu empfinden mit Menschen die ihnen nicht ähnlich sind.
- Neurotypische Menschen können es schaffen Tatsachen zu verleugnen die sie dennoch emotional deutlich spüren. Sie können z.B. bestreiten dass Du autistisch bist und Dich dennoch dafür hassen dass Du es bist.
Wenn sechs oder mehr dieser Kriterien auf Dein Gegenüber zutreffen, hast Du wahrscheinlich eine neurotypische Person vor Dir. Alles was Du sagst und wie Du es sagst kann jetzt gegen Dich verwendet werden, auch Dein Tonfall und Deine Sprachmelodie, Deine Körperhaltung und jede Bewegung Deiner Gesichtsmuskeln. Lächeln wird Dir in der Regel positiv ausgelegt, da es als höflich und freundlich gilt, aber nicht immer. Wenn Dein*e Gesprächspartnerin etwas Trauriges erzählt wird meist von Dir erwartet auch ein trauriges Gesicht zu machen. Wenn Du selbst von einem Problem berichtest, solltest Du auch nicht lächeln, sonst kann es sein dass Du nicht ernstgenommen wirst oder Dir nicht geglaubt wird. Beginne Dein Gespräch am besten mit ein bis zwei Floskeln oder Belanglosigkeiten, lass Dein Gegenüber zu Wort kommen, komm dann aber bald zum Punkt, denn Du willst ja nicht unnötig Missverständnisse und Kritik anziehen. Wenn Du zu schnell zur Sache kommst, kann es allerdings sein, dass sich die Interaktion erst recht hinauszögert. So viel Klarheit und Entschlossenheit wirkt auf neurotypische Menschen manchmal einschüchternd und führt dazu, dass sie Dich kritisieren oder sich zurückziehen. Es kann auch sein, dass Dein Gegenüber, bevor es ernsthaft mit Dir interagieren kann, erstmal was über Dich wissen will, Dich sozusagen soziologisch einordnen möchte. Das soll ihm*ihr helfen, sich eine Meinung über Dich auf Basis von gefühltem Wissen über eine Gruppe der Du angeblich angehörst zu bilden und seinen*ihren Machtstatus im Vergleich zu Deinem abzuchecken. Ist er*sie zu dem Schluss gekommen, dass er*sie machtmäßig über Dir steht, wird von Dir wahrscheinlich Zurückhaltung erwartet, allerdings auch nicht so viel Zurückhaltung dass diese als Desinteresse ausgelegt werdem könnte. Du merkst: man kann es ihnen schwer rechtmachen und die Hirnforschung muss wahrscheinlich noch einige Fortschritte machen bis wir wissen wie wir mit ihnen konstruktiv umgehen können.
Für die neurotypischen Leser*innen
Es tut mir aufrichtig leid, so schlimme, unfaire und verletzende Dinge geschrieben zu haben. Es ist natürlich alles übertrieben und vieles trifft nicht auf alle und nicht nur auf neurotypische Menschen zu. Aber ich muss Euch mal zurückspiegeln, was ständig bei mir ankommt wenn ich als autistische Person mit neurotypischen Menschen zu tun habe, insbesondere wenn Autismus das Thema ist. Einerseits bin ich eine wandelnde Liste mit Kästchen zum Abhaken („Du hast aber höchstens ne leichte Form!“, „Glauben Sie dass Ihr Autismus diagnostische Qualität hat?“, „Das ist jetzt aber wirklich Aspie-mäßig!“), deren Selbstwahrnehmung wahlweise infrage gestellt oder pathologisiert wird, andererseits wird mir dann Empathie abgesprochen bzw. es wird mir gespiegelt dass ich keine angenehme Gesprächspartnerin bin. Check!
Darf ich Ihnen ein Heißgetränk anbieten?
Ich möchte wirklich nicht, dass Sie sich schlechter fühlen als vorher, nachdem Sie diesen Artikel gelesen haben. Aber Aufmerksamkeit, Verstehen und Verständigung sind keine Einbahnstraßen. Ich habe einen Großteil meines Lebens damit verbracht, die neurotypische Kultur zu studieren und habe dafür weder ein Stipendium noch einen Titel bekommen. Auch bei mir haben sich dabei im Laufe der Zeit einige Stereotypen und Vorurteile gebildet und ich arbeite daran diese zu hinterfragen, zu relativieren und abzubauen. Selbstverständlich relativieren sich diese Stereotypen im zwischenmenschlichen Kontakt. Aber bitte hinterfragt auch Eure Stereotypen über Autist*innen. Wenn Ihr unsere Kultur verstehen und nicht nur in Eure Kästchen einsortieren wollt (so viel zum Thema Detailorientierung), denn geht das nur auf Augenhöhe! Hört uns zu, lest was wir schreiben, glaubt uns wer wir sind und behandelt uns als Individuen!
Neurotypisch? Was soll das sein?
Neurotypisch ist jemand, dessen Gehirn ungefähr so funktioniert wie bei der Mehrheit der Menschen bzw. bei dem einfach noch keine Auffälligkeit gefunden wurde. Ich gehe mit dem Konzept der Neurodiversität davon aus dass es unendlich viele Variationen des menschlichen Gehirns gibt. Einen Namen bekommen meistens diejenigen Variationen, die (denen die sie haben oder anderen Menschen) in irgendeiner Weise unangenehm auffallen, und zwar meistens dadurch, dass sie damit gegen Barrieren stoßen. Lese- Rechtschreibschwäche war wahrscheinlich vor Einführung der allgemeinen Schulpflicht und einheitlichen Rechtschreibung unauffällig und kein großes Problem, Autismus wird zumindest zu einem größeren Problem angesichts der zunehmenden Bedeutung von Kommunikations‑, Sozial- und Selbstdarstellungskompetenz in fast allen Lebensbereichen und Berufen. Neurotypisch sind also all jene die keine Diagnose haben bzw. noch nicht beim Arzt waren. Neurotypisch zu sein bedeutet nicht besser zu sein, es bedeutet einfach nur in der Mehrheit zu sein und deshalb eher in der Lage die eigenen Standards durchzusetzen.